Radio Interview in Germany

Kinder- und Jugendbuchautoren aus Israel zu Gast in Köln
Deutsche Welle
Kulturreport, 15.06.02
Autorin: Anja v.Cysewski
Redaktion: Suse Mertens

Anmoderation:

Seit sieben Jahren finden in Köln die Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen statt, immer mit einem anderen Länderschwerpunkt. In diesem Jahr sind Autoren aus Israel zu Gast, aus einem Land also, das eine reiche und vielfältige Kinder- und Jugendbuchszene hat. Acht Schriftsteller lesen noch bis zum 21. Juni in Kölner Schulen und Bibliotheken und diskutieren mit den Schülern über ihre Texte. Einer der interessantesten Gäste ist die Autorin Nava Semel, die sich in Israel mit Romanen für Kinder und Erwachsene einen Namen gemacht hat. Anja von Cysewski hat sie in Köln getroffen:

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Beitrag:

Atmo: Lesung auf Hebräisch
kurz stehen lassen, dann unterlegen  

In der Bibliothek der Kölner Synagoge liest die israelische Autorin Nava Semel aus ihrem Roman „Flugstunden". An ihrer Seite - eine junge Frau, die aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt. Im Publikum - Schüler des Georg-Büchner-Gymnasiums im Alter zwischen 11 und 14 Jahren. Zu Beginn kichern noch einige, als sie den Klang der fremden Sprache hören. Doch bald verstummt das Lachen, und die Schüler lauschen gebannt. Denn Nava Semel liest nicht nur aus ihrem Roman, sondern erzählt auch Geschichten über ihre eigene Familie: Über ihre Kindheit in Israel, über ihre Mutter, die das Konzentrationslager Auschwitz überlebt hat. Und über Herrn Klein, einen Deutschen, der der Mutter mit Lebensmitteln und Medikamenten das Leben rettete.
Begeisterter Applaus am Ende der Lesung. Semels Geschichten haben bei den Schülern tiefen Eindruck hinterlassen:

Voxpop Schüler
„Ja mir hat das gut gefallen, die Geschichte über die Mutter, was sie halt durchgelebt hat, wie die Leute sich da gefühlt haben, das fand ich sehr interessant."
„Diese Sprache habe ich noch nie gehört. Am Anfang musste man ein bisschen lachen, aber danach hat man sich dran gewöhnt, und diese Sprache hat sich dann ganz schön angehört, weil ich die vorher noch nicht kannte."
„Also ich fand es ganz toll, wie sie das auch betont hat, Lebenslauf und Geschichte und sie hat auch sehr spannend erzählt, nicht so langweilig, wie‘s halt auch manchmal ist. Deswegen habe ich auch dann am Schluss viele Fragen gestellt."
  


Wenn sie das erreicht hat, ist Nava Semel zufrieden. Denn die meisten der Kinder, die zu der Lesung gekommen sind, haben in der Schule bisher kaum etwas über den Holocaust gehört. Und so versucht die Autorin, ihnen Geschichte anschaulich nahezubringen:

O-Ton Semel (hebräisch mit Übersetzung)
Awal Im ani aftach lahäm....
„Wenn die Kinder jetzt diese kleinen, ganz persönlichen Geschichten hören, Geschichten aus meiner eigenen Familie oder solche, die ich in meinem Büchern geschrieben habe - Vielleicht wird ihnen dann das, was sie mit 14 oder 15 in der Schule über den historischen Kontext lernen, nicht ganz fremd sein, vielleicht haben sie dann eine gefühlsmäßigen Zugang dazu. Auch deswegen ist mir das Gespräch mit den deutschen Kindern sehr wichtig."
.... im anaschim zeirim beGermania  

Nava Semels Bücher gehören zu dem literarischen Genre in Israel, das als „Zweite Generation" bezeichnet wird. Es ist die Literatur der Kinder von Überlebenden des Holocaust:

O-Ton Semel
We Nizulej hashoah...
„Unsere Eltern haben uns eigentlich nichts über den Holocaust erzählt, vor allem weil sie sich um uns sorgten und nicht wollten, dass wir traumatisiert werden oder Narben davontragen. Deswegen haben sich gesagt: Wir werden die Vergangenheit einfach zum Schweigen bringen. Erst heute, da die Überlebenden älter sind, verstehen sie langsam, dass sie doch von ihren Erlebnissen erzählen müssen. Denn die Uhr tickt. Wenn sie es nicht erzählen, wer soll es dann erzählen? Wie sollen wir uns dann erinnern?" ...ech liscor?  


Gespräche über den Holocaust waren auch in ihrer Familie lange Zeit ein Tabu. Diese Erfahrung hat Nava Semel geprägt: Und so geht es auch in ihren Büchern immer wieder um die Wege der Erinnerung und den Einfluss der Geschichte auf den Menschen: Ihr Buch „Flugstunden" erzählt zum Beispiel die Geschichte der kleinen Hadara, die in den 50er Jahren in einem israelischen Dorf am Rande riesiger Orangenplantagen aufwächst. In der drückenden Hitze, die auf dem Ort und seinen Bewohnern lastet, träumt Hadara davon, fliegen zu können. Und sie findet ihren Lehrmeister: den Holocaust-Überlebenden Maurice Chaviv-El. Geschichten wie diese interessieren deutsche Kinder ebenso wie israelische, meint Nava Semel:

O-Ton Semel
... Beenai bnei adam bnei adam bechol makom
„In meinen Augen ist der Mensch überall der gleiche. Und wenn ein Buch menschliche Gefühle thematisiert, dann ist es egal, ob die Personen, die darin vorkommen, Indianer aus dem 17. Jahrhundert sind, Steinzeitmenschen oder eben Juden. Und genau darin liegt die Herausforderung für einen Schriftsteller: Er muss die Gefühlswelt seiner Protagonisten wahrhaft, authentisch und präzise darstellen." ... Weauthenti wemedujak  

Das ist Nava Semel an diesem Tag gelungen. Die Schüler des Georg Büchner Gymnasiums gehen nach der Lesung mit neuen Gedanken, neuen Ideen - und neuen Fragen nach Hause.

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